Was bleibt nach der Erinnerung?
Öffentliche Vergegenwärtigungen des Ersten Weltkriegs als Fallbeispiele für die Zukunft (selbstkritischer) Erinnerungskultur nach dem Schwinden der Zeitzeugen
Prof. Dr. Volkhard Knigge / Dr. Axel Doßmann, Hauptseminar im Sommersemester 2008

In Folge der Erfahrungen des extremen 20. Jahrhunderts – insbesondere von Nationalsozialismus, Zweitem Weltkrieg und Holocaust – ist ein historisch weitgehend vorbildloses Paradigma öffentlichen Erinnerns entstanden: Regime- bzw. Gesellschaftsverbrechen und daraus resultierendes Leid sollen dauerhaft im Gedächtnis behalten und zur bewußten politischen und ethischen Orientierung für eine bessere Zukunft werden.

Durch die kritische Vergegenwärtigung kommunistischen Unrechts nach 1990 hat diese Form noch einmal zusätzlichen Auftrieb erhalten. Aus der Geschichte lernen, was sich nicht wiederholen darf und wie man es verhindert, ist ein erklärtes, damit einhergehendes Ziel politisch-historischer Bildung, nicht nur in Deutschland sondern weit darüber hinaus. An deren Anfang standen die Appelle von Zeitgenossen, deren persönliche Erfahrungen von Verfolgung und Krieg die Notwendigkeit und den Sinn dieser Form individueller und gesellschaftlicher Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gleichsam von selbst begründeten.

Heute ist diese Form des Erinnerns damit konfrontiert, dass ihre zeitgenossenschaftliche Basis endgültig schwindet. Die Zeitzeugen sterben und die Jüngeren, die sich erinnern sollen, können dies im eigentlichen Sinn des Wortes nicht mehr. Erinnerung wird faktisch zur Umschreibung von Repräsentationen und Inszenierungen der Vergangenheit zu verschiedensten Zwecken – von der Ausbildung reflektierten Geschichtsbewußtseins und politischer Verantwortungsbereitschaft bis hin zur politischen Identitätsstiftung oder Unterhaltung am Grauen. Was aus dem Projekt, selbstkritisch Lehren aus der Gewalt- und Verbrechensgeschichte des 20. Jahrhunderts zu ziehen, wird, ist offen.

Vor diesem Hintergrund fragt das Hauptseminar im Sinne eines Blicks zurück nach vorn nach den Formen und Zielen der Vergegenwärtigungen des Ersten Weltkrieges in Ausstellungen, Denkmalen, Gedenkstätten, Filmen und anderen Medien. Lebendiges Erinnern ist in diesem Fall bereits erloschen, die direkte intergenerationelle Überlieferung weitestgehend abgebrochen, Vergangenheit zum verfügbaren Material geworden. Was heißt das für Darstellungs- und Vermittlungsprozesse? Was heißt das für die Institutionalisierungen des Erinnerns und für historisches Lernen, für politische oder moralische Sinngebungen, für Bedeutungszuschreibungen und Bedeutungsverluste, für Geschichtspolitik und anderen Gebrauch der Vergangenheit bis hin zur Kommerzialisierung? (Wie) Bleibt trotz Historisierung ein aufklärerischer Stachel?

Das Hauptseminar wird als Kompaktseminar – zwei Wochenenden – mit anschließender etwa zehntägiger Exkursion zu entsprechenden Denkmalen, Gedenkstätten und Museen in Belgien und Nordfrankreich durchgeführt. Das Seminar ist aus diesem Grund auf 12 TeilnehmerInnen begrenzt.